P. Pauli: Klosterökonomie, Aufklärung und «Parade-Gebäude».

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Titel
Klosterökonomie, Aufklärung und «Parade-Gebäude». Der Neubau des Klosters Muri im 18.Jahrhundert


Autor(en)
Pauli, Pascal
Reihe
Murenser Monografien
Erschienen
Zürich 2017: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
319 S.
von
Peter Hersche

Vermutlich die meisten Besucher, die sich vom Bahnhof her dem ehemaligen Kloster Muri nähern, werden sich über den gigantischen 220 Meter langen vierstöckigen Bau wundern, der sich ihnen beim Aufstieg entgegengestellt und vorerst die Kirche, das eigentliche Zentrum des Klosterbezirks, verdeckt. Er beherbergt heute ein grosses Pflegeheim, Verwaltungsbüros und verschiedene kulturelle Institutionen. Der vom Architekten Valentin Lehmann 1789 begonnene und bis 1798 weitergeführte Monumentalbau war aber nur der vollendete Teil einer noch grösser geplanten Anlage, die ein komplettes Geviert mit etwa 200 Räumen umfassen sollte. Noch mehr staunt man, wenn man die Geschichte des Baus verfolgt. Er war nämlich für damals bloss 41 Mönche geplant, also eigentlich viel zu gross. Dazu kommt, dass allgemein der barocke klösterliche Bauboom seit etwa 1770 merklich abgeflaut war, ja fast aufgehört hatte. Die berühmten «Klosterschlösser» standen damals alle schon, in Muri aber wurde mit dem Bau ausgerechnet in einer unsicher werdenden Zeit begonnen: Eben war die Französische Revolution ausgebrochen. War der repräsentative Bau wie bei vielen anderen Klöstern eine Folge der kaiserlichen Ernennung des Abtes zum Fürsten? Diese hatte aber schon fast ein Jahrhundert vorher stattgefunden. War der Bau also blosses Imponiergehabe? Den Klöstern wehte damals, im Zeichen der Aufklärung, ein steifer Wind entgegen: In Österreich waren wenige Jahre vor Baubeginn von Joseph II. schon Hunderte Klöster aufgehoben worden und überall wurden Stimmen laut, welche die Nutzlosigkeit dieser Institutionen behaupteten und ihre Auflösung forderten. Wollte man in Muri in einer Art Trotzreaktion beweisen, dass man mit der Zeit ging, etwa indem man die vielen Räume für Schulzwecke zu nutzen beabsichtigte? Und wie konnte der Bau, für den total rund 450’000 Gulden veranschlagt wurden, überhaupt finanziert werden?

Fragen über Fragen also. Sie veranlassten Pascal Pauli zu einer umfassenden Untersuchung. Er nähert sich einer möglichen Antwort auf verschlungenen Wegen, mit vielen Nebenpfaden, die zum Teil das Ziel fast aus dem Auge lassen. Das hat aber offenbar auch damit zu tun, dass in Hinblick auf das im Jahre 2027 stattfindende tausendjährige Gründungsjubiläum von einer entsprechenden Stiftung eine ausführliche Darstellung der Klostergeschichte in Einzelmonographien beabsichtigt ist, denn der vorliegende Band ist der erste einer neuen Reihe. Der Autor behandelt zunächst die 1701 erfolgte Fürstung des Klosters unter Abt Plazidus Zurlauben und geht dabei auf die bekannten Beziehungen zu den Habsburgern und die damaligen politischen Verhältnisse ein. Alsdann sucht er anhand der Bücherkäufe das Verhältnis des Klosters, beziehungsweise des Bauherrn, Abt Gerold II. Meyer, zur Aufklärung zu eruieren, ohne jedoch eine eindeutige Antwort zu finden. Als spezifisch aufklärungsfreundlich aber kann Muri sicher nicht gelten. Das vierte Kapitel des Buches handelt von der klösterlichen Ökonomie und ist meiner Meinung nach eines der wichtigsten, weil wir über dieses Feld allgemein noch sehr wenig wissen: Kaum eine der unzähligen Klostergeschichten hielt es bislang für darstellungswürdig. Das Kloster Muri betrieb nach 1700 bis ins Reich hinein (Herrschaft Glatt) eine systematische Politik des Güteraufkaufs zulasten des verschuldeten Adels, bis ihm dies durch politische Gegenmassnahmen verunmöglicht wurde. Hernach gab es flüssige Mittel als Darlehen aus. Mit beidem steigerte es seine laufenden Einnahmen kräftig und wurde reich. So ging Gerold II. also mit seinem Projekt kein finanzielles Wagnis ein; er gedachte den Bau mit einem Teil der jährlichen Einnahmen finanzieren zu können. Was unter normalen Verhältnissen vermutlich möglich gewesen wäre! Die eigentliche Baugeschichte des Klosters wurde schon von Georg Germann im Rahmen der «Aargauischen Kunstdenkmäler» erarbeitet und dazu kann Pauli, obschon er auch kunsthistorisch gut bewandert ist, nur noch einige kleinere Korrekturen und Ergänzungen anbringen. Ihm geht es ja, wie er in der Einleitung erwähnt, um die Architektursoziologie, das heisst darum, den Bau in seinen sozialen und ökonomischen Kontext zu stellen. Dass er in der Helvetik nicht mehr weitergeführt werden konnte, ist angesichts der damaligen Umwälzungen ohne weiteres nachvollziehbar. Aber auch in den ruhigeren Zeiten danach blieb baulich alles beim Alten. Die finanzielle Basis war nun erheblich geschrumpft und Pläne, die leer stehenden Räume für ein kantonales katholisches Gymnasium oder ein Priesterseminar zu nutzen, liessen sich trotz aller Anstrengungen, in die auch der Nuntius involviert war, aus verschiedenen Gründen nicht realisieren. Nur die vor allem dem eignen Nachwuchs dienende Klosterschule florierte und konnte die Schülerzahl bis 1835 verdreifachen – erstaunlich in einer Zeit ziemlicher religiöser Dürre. Sonst allerdings lässt die Darstellung Paulis eher Vorboten der späteren Aufhebung erkennen, insbesondere durch einen massiven Staatsinterventionismus des jungen Kantons Aargau.

Die Arbeit von Pascal Pauli bietet sehr viele Perspektiven zur Klostergeschichte allgemein; den Ausführungen zur Ökonomie und der Bauorganisation folgt man mit Spannung. Das Werk beruht auf einem imponierenden Quellenkorpus, namentlich aus dem Aargauischen Staatsarchiv und dem Stiftsarchiv Muri-Gries, dazu nicht weniger als 15 weiteren Fundstätten. Hingegen weist die Literaturverarbeitung einige Lücken auf. So kennt der Verfasser die 1980 in deutscher Übersetzung erschienene zweibändige Gesamtdarstellung von Germain Bazin offenbar nicht. In ihr wurden aber sehr viele Fragen, die auch für Pauli relevant waren (z.B. die Stellung der Klöster zur Aufklärung), meines Wissens zum erstenmal diskutiert. Für das nicht spannungsfreie Verhältnis der Klöster zu den untertänigen Bauern hätte das Buch «Innovative Bauern» von Andreas Ineichen Material aus dem benachbarten Luzern geboten. Zum Kreditwesen der Klöster hat Martina Spies schon 2007 eine interessante Monographie geliefert, einige Beachtung findet das kirchliche Kreditwesen neuerdings auch im französischen und angelsächsischen Raum. Die Qualität der Abbildungen, sowohl der Äbteporträts wie der wichtigen Baupläne, ist erbärmlich schlecht. Die Bezifferung der Räume bei Letzteren ist selbst mit einer Lupe nur mühsam zu lesen, so dass die beigegebene Legende (obschon, wie der Verf. anmerkt, zu einer anderen Planserie gehörend) wertlos ist. Doch mindern diese kritischen Hinweise den Wert der bemerkenswerten und reichhaltigen Studie von Pauli nur wenig.

Zitierweise:
Peter Hersche: Pascal Pauli: Klosterökonomie, Aufklärung und «Parade-Gebäude». Der Neubau des Klosters Muri im 18.Jahrhundert, Zürich: Chronos, 2017. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 68 Nr. 3, 2018, S. 567-569.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 68 Nr. 3, 2018, S. 567-569.

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